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Sieht aus wie Spiel. Ist aber Lernen im besten Sinne -Warum Wandel in Schulen mehr braucht als gute Absichten

  • Sven Averkamp
  • 6. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

„Ich hab euch eben draußen beobachtet – hast ja schon wieder schön mit deinen Schülern gespielt, was?“


So begrüßte mich vor Kurzem ein Kollege auf dem Flur. Halb im Spaß – aber mit einem Unterton, der hängen blieb.

 

Was er gesehen hatte: Meine Klasse stand draußen. Eine Schülerin hielt eine Konstruktion aus Luftballons, Strohhalmen, Papier und Tesafilm hoch. Drin: ein rohes Ei. Die Aufgabe: Das Ei muss den Sturz aus dem Fenster überleben.

 

Was er nicht gesehen hat: Was in diesem Moment tatsächlich passiert ist.

🎯Die Schüler:innen haben eigenverantwortlich gearbeitet.

🎯 Sie haben sich selbst organisiert, Entscheidungen getroffen, Ideen verworfen, improvisiert.

🎯 Ich war nicht der Mittelpunkt – sondern Lernbegleiter und Ermöglicher.

 

Und ja – es sah aus wie ein Spiel. Aber genau das ist der Punkt. Es war spielerisch. Und gleichzeitig absolut ernsthaft. Denn echtes Lernen ist genau das: ein kontrolliertes Risiko in einem sicheren Raum.

 

 

🚧 Warum fällt es Schulen so schwer, genau diese Art von Lernen systematisch zu ermöglichen?


Mit dieser Frage beschäftige ich mich schon länger – und sie ist nicht einfach zu beantworten. Denn Schule verändert sich nicht nur über guten Willen oder neue Methoden. Es geht tiefer. Viel tiefer.


Veränderung in Schulen ist herausfordernd, weil sie auf zwei eng miteinander verknüpften Ebenen stattfinden muss:

 

1️⃣ Die Unterrichtsebene – Hier geht es um das "Wie" des Lernens. Weg von reiner Wissensvermittlung, hin zu eigenverantwortlichen, kollaborativen Lernprozessen. Aber das verlangt mehr als Methodenkompetenz. Es erfordert Mut, Unsicherheit auszuhalten, Kontrolle abzugeben und Prozesse zu begleiten, die nicht planbar sind.

 

2️⃣ Die Organisationsebene – Und genau hier wird es strukturell schwierig. Denn solange Unterricht in ein eng getaktetes Korsett aus Rahmenlehrplänen mit inhaltlichen Vorgaben und zentralen Prüfungen gepresst wird, ist echter Wandel schwer möglich. Organisationen wie Schulen folgen dieser inneren Logik: Sie sind auf Vergleichbarkeit, Kontrolle und Planbarkeit ausgerichtet. Alles, was davon abweicht, wird als Risiko empfunden – und oft reflexartig abgewehrt.

 

Zur Organisationsebene gehört auch die Entwicklung der Organisation Schule selbst – und genau dort sehe ich aktuell eine spannende, aber auch herausfordernde Dynamik an Bremer Schulen: Die berufsbildenden Schulen in Bremen haben sich mit der „Vision 2035“ ein klares Zielbild gegeben. Dieses Papier betont insbesondere die Eigenverantwortung und fokussiert vieles von dem, worüber wir sprechen, wenn wir New Learning meinen.

 

Aber hier zeigt sich eine weitere systemische Barriere: Organisationen lassen sich nicht durch Appelle oder Strategiepapiere verändern. Ein Papier – so ambitioniert und wohlformuliert es auch sein mag – verändert noch keine Realität. Es ist ein Startpunkt, kein Hebel.

 

Wenn die dahinterliegenden Strukturen unangetastet bleiben, dann bleibt das Neue folgenlos. Dann wird Neues Lernen zum Etikett – nicht zur Praxis.

 

Denn auch Kollegien folgen dieser inneren Logik. Sie bestehen aus Menschen mit ganz unterschiedlichen Prägungen, Erfahrungen und Sicherheitsbedürfnissen. Veränderung lässt sich nicht anweisen. Wie sagt man so schön, sie muss anschlussfähig sein. Sie braucht Resonanzräume, nicht nur Zielvereinbarungen.

 

Was heißt das konkret?

✅ Es braucht strukturelle Freiräume, nicht nur methodische Vielfalt.

✅ Es braucht Zeiten für Austausch, Reflexion und gemeinsames Lernen im Kollegium. Dafür müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

✅ Es braucht Führung, die ermöglicht, nicht durchsetzt.

✅ Es braucht Vertrauen statt Steuerung, Einladung statt Vorgabe, Beteiligung statt Delegation – und es braucht Gestaltung statt Reaktion.

 

 

Und als mein Kollege mich ansprach, dachte ich innerlich: „Stimmt. Wir haben gespielt. Und genau deshalb war es Lernen – im besten Sinne.“ Was wie Spiel aussieht, ist oft das, was Lernen eigentlich braucht: Freiheit. Verantwortung. Vertrauen. Und ein Raum, in dem Neues nicht nur gedacht, sondern erlebt werden kann.

 

Wenn wir es also ernst meinen mit New Learning, dann geht es nicht um den nächsten Methodentrend. Es geht darum, wie wir Schule als lernende Organisation gestalten – in der Strukturen nicht nur verwalten, sondern Entwicklung ermöglichen.

 

Und vielleicht beginnt diese Entwicklung manchmal genau dort:

Mit einem Spiel.

Mit einem Ei.

Und mit einem Gespräch im Flur.



Autor: Sven Averkamp



 
 
 

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